Neuregelung der erweiterten Gewerbesteuerkürzung bei Grundstücksunternehmen und Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen – Ende gut, alles gut?
Werden in Deutschland belegene vermietete Immobilien in einer Objektgesellschaft, in der Regel einer GmbH, oder einer gewerblich geprägten Personengesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland gehalten, unterliegen die Vermietungsgewinne dieser Gesellschaften grundsätzlich in vollem Umfang der Gewerbesteuer. Eine Ausnahme ist die sog. erweiterte gewerbesteuerliche Kürzung, wenn diese Unternehmen – ausschließlich – eigenen Grundbesitz oder daneben auch eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen. Ein großes Problem ist dabei – neben weiteren Fallstricken – das Ausschließlichkeitserfordernis, welches im Ergebnis dazu führt, dass selbst geringfügige Nebentätigkeiten zum Entfall der faktischen Gewerbesteuerbefreiung führen. Klassische Beispiele für derartige steuerschädliche Nebentätigkeiten sind z.B. der Betrieb von Photovoltaikanlagen zur Stromeinspeisung ins öffentliche Netz oder die Mitvermietung von sog. Betriebsvorrichtungen wie Lastenaufzügen, Klimaanlagen in Serverräumen, ebenso wie Kühlräume oder Küchenanlagen und Fettabscheider in Gastronomie und Kantinen aber wohl auch sog. Teeküchen in Bürogebäuden.
Hierzu hat der Bundesfinanzhof zuletzt mit 3 wegweisenden Urteilen vom 11.04.2019 entschieden, dass:
Bei einem Hotel, die Mitvermietung einer Bierkellerkühlanlage, Kühlräumen sowie Kühlmöbeln für Theken und Buffetanlagen im Volumen von ca. 134 TEUR oder rund 1,14% der gesamten Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Gebäudes (III R 36/15) oder
Bei einem Autohaus, die Mitvermietung von Lackierkabinen mit zugehörigen Zuluft- und Ablufteinrichtungen (III R 5/18) oder
Bei einem Autohaus mit Werkstatt die Mitvermietung einer Portal-Waschanlage, Hebebühnen, Druckluft-Kältetrockner sowie Werbeanlagen und einem Werbeturm (III R 6/18)
die Anwendung der erweiterten Kürzung wegen Verstoß gegen das Ausschließlichkeitserfordernis zu versagen ist.
Mit weiterem Urteil vom 18.12.2019 (III R 36/17) hat der BFH im Fall der Vermietung eines Warenhauses und einer Tankstelle die zur letzteren gehörende Tankstellentechnik (Fahrbahn, Zapfsäule, Rohrleitungen und Tanks) ebenfalls als schädliche Betriebsvorrichtungen qualifiziert.
Neu an allen vorgenannten Entscheidungen war die Präzisierung des Ausschließlichkeitserfordernisses. Entgegen bisheriger Rechtsprechung einzelner Finanzgerichte kommt bei Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen die erweiterte gewerbesteuerliche Kürzung – unabhängig vom Umfang der mitüberlassenen Betriebsvorrichtungen – nicht in Frage. Eine Bagatellgrenze sieht das Gesetz lt. BFH ausdrücklich nicht vor. Diese sehr restriktive Rechtsprechung war somit in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Auf die Fortbestehende Problematik hatten wir in unserem Beitrag im FYB 2021 hingewiesen insbesondere darauf, dass sich die Praxis schon lange damit behilft, inländische Immobilien über im Ausland ansässige Immobilienobjektgesellschaften zu halten und auch die Geschäftsführungsaufgaben am ausländischen Sitz der Gesellschaft auszuüben, wodurch im Ergebnis die inländische Betriebsstätte als Anknüpfungspunkt für die Gewerbesteuer fehlt.
Mit dem aktuellen Fondsstandortgesetz haben sich insoweit wesentliche und für Immobilieneigentümer vorteilhafte Regelungen ergeben.
Betrieben Grundstücksunternehmen bisher auch die Erzeugung von Strom aus Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien im Sinne des § 3 Nr. 21 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes oder aus dem Betrieb von Ladestationen für Elektrofahrzeuge, so verloren sie insgesamt die Möglichkeit, die erweiterte Kürzung in Anspruch zu nehmen.
Aktuell wurde die Regelung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG in einem neuen Satz 3 um eine Ausnahmeregelung für die Lieferung von Strom und das Betreiben von Ladestationen erweitert. Voraussetzung ist, dass die diesbezüglichen Einnahmen im Wirtschaftsjahr nachweislich nicht mehr als 10 % der Einnahmen aus der Gebrauchsüberlassung des Grundbesitzes betragen. Zudem darf der Strom nur in das Netz eingespeist oder an die Mieter des Grundstücksunternehmens geliefert werden, nicht aber an Endverbraucher, die nicht Mieter des Anlagenbetreibers sind (z.B. an den Eigentümer oder die Mieter eines benachbarten Wohn- oder Bürogebäudes). Das Betreiben von Ladestationen für die Öffentlichkeit bleibt hingegen eine begünstigungsschädliche Tätigkeit ebenso wie der Betrieb eines Blockheizkraftwerkes (infolge der ausdrücklichen Bezugnahme auf § 3 Nr. 21 EEG).
Quasi in letzter Minute hat dann noch eine weitere Begünstigung mit erheblicher praktischer Bedeutung Eingang in das Gesetz gefunden. Nach dem neuen § 9 Nr. 1 Satz 3, Buchstabe c) GewStG bleibt die erweiterte Kürzung für Grundbesitz künftig auch erhalten, wenn die Einnahmen in dem Wirtschaftsjahr aus übrigen Tätigkeiten nicht höher als 5 % der Einnahmen aus der Gebrauchsüberlassung des Grundbesitzes sind und aus unmittelbaren Vertragsverhältnissen mit den Mietern des Grundstückes stammen.
Im Klartext bedeutet das, dass die Mitvermietung von bisher schädlichen Betriebsvorrichtungen wie Lastenaufzügen, Abluftanlagen- und Fettabscheidern sowie Kücheneinrichtungen in der Gastronomie aber auch von Kühlräumen in Supermärkten aber auch Teeküchen in Büros oder Klimaanlagen in Serverräumen nunmehr grundsätzlich problemlos möglich ist, soweit die „Schmutzgrenze“ von 5 % der Einnahmen eingehalten wird.
Diese Regelung ist höchst begrüßenswert, beendet sie doch den langjährig vor den Gerichten ausgetragenen Streit um das Ausschließlichkeitserfordernis der Vermietung.
Es gilt jedoch zu beachten, dass auch trotz der Unschädlichkeit der betreffenden Einkünfte insoweit keine Steuerbefreiung eintritt. Die Befreiung bezieht sich weiterhin nur auf die unmittelbaren Vermietungseinkünfte; die Einkünfte aus Nebentätigkeiten sind separat zu ermitteln und unterliegen der Gewerbesteuer. In der Regel wird der auf die Vermietung der Betriebsvorrichtungen entfallende Gewinn und damit die Gewerbesteuer wohl meist überschaubar sein.
Im Übrigen wird mit der Neuregelung auch Gleichklang mit § 15 Abs. 3 InvStG hergestellt, der für Immobilien haltende Investmentfonds seit dem InvStG 2018 eine Gewerbesteuerbefreiung vorsieht, wenn der Anteil der erzielten Einnahmen aus aktiver unternehmerischer Immobilienbewirtschaftung in einem Geschäftsjahr weniger als 5 % (Bagatellgrenze) der gesamten Einnahmen des Investmentfonds beträgt (Einzelheiten dazu im BMF Schreiben vom 21. Mai 2019 zu Anwendungsfragen zum Investmentsteuergesetz in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung). Auch die bisher insoweit geltende Ungleichbehandlung bzw. gewerbesteuerliche Bevorzugung von Investmentfonds wurde nunmehr beseitigt und rechtsformunabhängig Gleichklang hergestellt.
Der Gesetzentwurf wurde am 28. Mai vom Bundesrat beschlossen; die Neuregelung zur erweiterten Kürzung gilt ab dem Veranlagungszeitraum 2021.
Praxistipp:
So sehr die Neuregelung zu begrüßen ist, fehlt derzeit noch eine Regelung, wie die Schmutzgrenzen von 10 % bzw. 5 % der „Einnahmen aus der Gebrauchsüberlassung“ zu ermitteln sind, hier insbesondere ob es sich um die Kaltmiete handelt oder ob Umlagen für Betriebskosten einzubeziehen sind. Zudem ist unklar, ob auch Erlöse aus der Veräußerung von Betriebsvorrichtungen noch unter die Neuregelung fallen, was beim Abstellen auf die Einnahmen aus der reinen Gebrauchsüberlassung bezweifelt werden darf. Fraglich Zuguterletzt auch, wie aus einer vereinbarten Miete für eine Teilfläche oder ein Gesamtgebäude derjenige Mietanteil bestimmt werden soll, der auf die Vermietung der in der Miete enthaltenen Betriebsvorrichtungen entfällt, zumal diese gerade bei Bestandsgebäuden oft nicht separat im Anlagenvermögen erfasst sind und Daten zu historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten oft nicht vorliegen; somit ist auch hier die „Bewertungsdiskussion“ mit dem Finanzamt vorprogrammiert – wie so oft im Steuerrecht steckt die Tücke wieder im Detail.
In der praktischen Anwendung ist somit weiterhin sicherzustellen, dass:
– der maßgebliche Prozentsatz – auch bei teilweisem Gebäudeleerstand – nicht überschritten wird
– relevante Einkünfte der Gewerbesteuer unterworfen werden
– Betriebsvorrichtungen somit weiterhin insbesondere beim Ankauf eindeutig identifiziert und im Kaufvertrag ggf. entsprechende anteilige Kaufpreise für diese ausgewiesen werden
– Betriebsvorrichtungen weiterhin auf separate Gesellschaften ausgegliedert werden, wenn die maßgeblichen Schmutzgrenzen überschritten sind oder diese – separat oder zusammen mit der Immobilie – veräußert werden sollen.
Die weitere Entwicklung in diesem Bereich bleibt also abzuwarten, insbesondere bei Transaktionen sollte weiterhin mit Augenmaß und im Zweifel mit Vorsicht agiert werden. Bisherige Gestaltungsmodelle werden voraussichtlich ihre Gültigkeit nicht zur Gänze verlieren.
Unsere News geben Veröffentlichungen jeglicher Art nur auszugsweise wieder. Für Informationsfehler können wir daher trotz Sorgfalt keine Haftung übernehmen. Individuelle Beratung im Einzelfall kann dies nicht ersetzen. Auf Inhalte von Internetseiten, die wir verlinkt haben oder auf die wir hinweisen, haben wir keinen Einfluss. Eine Haftung hierfür wird daher ausgeschlossen.
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https://lmat.de/wp-content/uploads/2017/03/LMAT-logo-with-claim-236.png00Sekretariathttps://lmat.de/wp-content/uploads/2017/03/LMAT-logo-with-claim-236.pngSekretariat2021-09-15 15:44:342021-09-16 15:45:03LM REAL ESTATE – Neue Broschüre zum Download!
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen in § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (im Folgenden: AO) verfassungswidrig ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird.
Die Verzinsung von Steuernachforderungen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten stellt eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wird, dar. Diese Ungleichbehandlung erweist sich gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume noch als verfassungsgemäß, für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume dagegen als verfassungswidrig. Ein geringere Ungleichheit bewirkendes und mindestens gleich geeignetes Mittel zur Förderung des Gesetzeszwecks bestünde insoweit in einer Vollverzinsung mit einem niedrigeren Zinssatz. Die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO mit dem Grundgesetz umfasst ebenso die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen. Das bisherige Recht ist für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume weiter anwendbar. Für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume sind die Vorschriften dagegen unanwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.
Sachverhalt:
§ 233a AO regelt die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen. Die Verzinsung betrifft den Zeitraum zwischen der Entstehung der Steuer und ihrer Festsetzung (Grundsatz der Vollverzinsung). Der Zinslauf beginnt allerdings nicht bereits mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, sondern erst nach einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten. Von der Vollverzinsung betroffen sind damit lediglich diejenigen Steuerpflichtigen, deren Steuer erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums nach der Entstehung des Steueranspruchs erstmalig festgesetzt oder geändert wird. Praktisch bedeutsam sind insoweit insbesondere (geänderte) Steuerfestsetzungen nach einer Außenprüfung. Die Zinsen betragen nach § 238 Abs. 1 AO für jeden vollen Monat des Zinslaufs 0,5 %, mithin 6 % jährlich. Von der Verzinsung erfasst werden nur die in § 233a Abs. 1 Satz 1 AO abschließend aufgezählten Steuerarten der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermögensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer. Die Vollverzinsung wirkt sowohl zugunsten (im Fall der Steuererstattung) als auch zuungunsten (im Fall der Steuernachforderung) der Steuerpflichtigen. Die Gründe für eine späte Steuerfestsetzung und insbesondere, ob die Steuerpflichtigen oder die Behörde hieran ein Verschulden trifft, sind für die Verzinsung unerheblich.
Die Verfassungsbeschwerden haben die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO auf Gewerbesteuer nach einer Außenprüfung zum Gegenstand. Die Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen die die Verzinsung bestätigenden fachgerichtlichen Urteile. Mittelbar wenden sie sich gegen § 233a AO, soweit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO bei der Zinsberechnung Anwendung findet. Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung ist ein Verzinsungszeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 14. Juli 2014.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
I. Die Verzinsung von Steuernachforderungen nach § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO war ursprünglich verfassungsgemäß. Die Regelung ist jedoch nicht mehr mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit der Zinsberechnung für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird.
1. Nach geltendem Recht werden Steuerpflichtige, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerpflichtigen, deren Steuer innerhalb der Karenzzeit festgesetzt wird, ungleich behandelt. Nur erstere sind zinszahlungspflichtig.
2. Die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung bemisst sich nach strengeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen.
a) Der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Diese bedarf jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für Einzelne verfügbar sind. Dieser allgemeine gleichheitsrechtliche Maßstab findet auch bei der Auswahl des Zinsgegenstands (Vollverzinsung nach § 233a AO) und der Bestimmung des Zinssatzes (§ 238 AO) Anwendung.
b) Nach diesen Grundsätzen sind hier strengere Verhältnismäßigkeitsanforderungen zu stellen. Zwar berührt die Vollverzinsung zulasten der Steuerpflichtigen nach den §§ 233a, 238 AO im Wesentlichen nur die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. Die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG ist hingegen von vornherein nicht betroffen, weil die Auferlegung einer Zinszahlungspflicht die Vermögensverhältnisse der Betroffenen nicht so grundlegend beeinträchtigt, dass sie eine erdrosselnde Wirkung entfaltet. Der Zeitpunkt der Steuerfestsetzung und damit das Überschreiten der Karenzzeit sind für die einzelnen Steuerpflichtigen allerdings weitestgehend nicht verfügbar. Es liegt letztlich in der Sphäre der Finanzverwaltung beziehungsweise – im Fall der Gewerbesteuer – in der Regel zusätzlich in der Sphäre der Gemeinden, wann die Steuer festgesetzt wird.
3. § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO genügte anfänglich den hier anzuwendenden strengeren Rechtfertigungsanforderungen und war verfassungsgemäß.
a) Das Ziel der Vollverzinsung, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden, ist legitim. Der Verzinsung der Steuernachforderungen liegt die Annahme zugrunde, dass Steuerschuldner, deren Steuer erst spät festgesetzt wird, einen fiktiven Zinsvorteil haben. Zweck der Vollverzinsung ist die Abschöpfung dieses Zinsvorteils. Die Vollverzinsung als solche ist auch geeignet, die Erreichung dieses Ziels zu fördern. Dies gilt grundsätzlich auch unter Berücksichtigung der Höhe des Zinssatzes, da jedenfalls bis in das Jahr 2014 noch regelmäßig Habenzinsen erzielt werden konnten.
b) Die Vollverzinsung ist als solche auch erforderlich. Weder die Abschöpfung des tatsächlich erzielten Liquiditätsvorteils der Steuerpflichtigen noch eine Ausgestaltung der Vollverzinsung dahingehend, dass Nachzahlungszinsen nur bei einer von den Steuerpflichtigen selbst verursachten späten Steuerfestsetzung erhoben werden, sind zur Erreichung des Differenzierungszwecks in gleicher Weise geeignet. Auch soweit die Vollverzinsung an einen starren Zinssatz anknüpft, begegnet ihre Erforderlichkeit keinen Bedenken. Ein variabler Zinssatz bewirkt nicht per se eine geringere Ungleichheit als ein starrer Zinssatz.
4. Die Vollverzinsung mit einem Zinssatz von 0,5 % pro Monat erweist sich allerdings für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume als nicht mehr erforderlich und verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Der Gesetzgeber ist dem Grunde nach berechtigt, den durch eine späte Steuerfestsetzung erzielten Zinsvorteil der Steuerpflichtigen zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung typisierend zu bestimmen. Allerdings darf er keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss bei seiner Maßstabsbildung realitätsgerecht den typischen Fall zugrunde legen. Da der Gesetzgeber die Höhe des gewählten Zinses zu keiner Zeit ausdrücklich begründet hat, ist eine Gesamtschau der erkennbaren Motive und Erwägungen erforderlich, um die zumindest vermutlich leitenden Kriterien bei der Bemessung des Zinssatzes zu bestimmen. Dem Vorteilsausgleich durch eine Vollverzinsung im Nachzahlungsfall liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass es sich bei dem abzuschöpfenden Vorteil um einen potentiell entstehenden Zinsvorteil handelt. Zur Bestimmung dieses Zinsvorteils mit monatlich 0,5 % knüpfte der Gesetzgeber im Jahr 1990 an den bereits für die bisherigen Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung geltenden § 238 AO an. Dies begründete er allein mit der Praktikabilität des vorgefundenen festen Zinssatzes. Erkennbar sind aber auch Bezüge zum damaligen Diskontsatz, der durch den heutigen Basiszinssatz abgelöst wurde. Im Blick hatte der Gesetzgeber offenbar weiterhin den Marktzins und einen Gleichlauf der Höhe von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen. Diese vom Gesetzgeber bei der Bemessung des Zinssatzes als maßstabsbildend zugrunde gelegten Kriterien sind in ihrer Gesamtheit sachgerecht, um den potentiell entstehenden Vorteil einer späten Steuerfestsetzung abzubilden.
b) Die Vollverzinsung zulasten der Steuerpflichtigen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % war danach zunächst verfassungsgemäß. Die Annahme des Gesetzgebers, dass dieser Zinssatz den durch eine späte Steuerfestsetzung potentiell entstehenden Vorteil abbildet, traf im Jahr der Verabschiedung des Steuerreformgesetzes 1990 zu, mit dem die Vollverzinsung in die Abgabenordnung eingeführt wurde. Der Zinssatz entsprach mit jährlichen Zinsen von 6 % in etwa den insoweit maßstabsrelevanten Verhältnissen am Geld- und Kapitalmarkt.
c) Die Verzinsung mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % ist trotz der grundsätzlichen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers aber dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn sich der typisiert festgelegte Zinssatz im Laufe der Zeit unter veränderten tatsächlichen Bedingungen als evident realitätsfern erweist. Dies ist spätestens seit dem Jahr 2014 der Fall.
Nach Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich ein strukturelles Niedrigzinsniveau entwickelt, das nicht mehr Ausdruck üblicher Zinsschwankungen ist. Dies zeigt sich zunächst in der Entwicklung des Basiszinssatzes. Während er im Jahr 2008 noch bei über 3 % lag, sank er im Laufe des Jahres 2009 rapide auf 0,12 %. Seit Januar 2013 liegt er im negativen Bereich. Vor dem Hintergrund, dass sich der Diskontsatz in den fünfzig Jahren seines Bestehens zwischen 2,5 % und 8,75 % und der Basiszinssatz sich vor 2009 zwischen 1,13 % und 3,32 % bewegt hat, zeigt diese Entwicklung ein Niedrigzinsniveau auf, das nicht mehr Ausdruck üblicher Zinsschwankungen, sondern spätestens seit dem Jahr 2014 struktureller und nachhaltiger Natur ist. Einen entsprechenden Trend zeigt die Entwicklung der Zinsen am Kapitalmarkt auf. Im Jahr 2014 hatte sich der jährlich 6 %-ige Zinssatz bereits so weit vom tatsächlichen Marktzinsniveau entfernt, dass er schon in etwa das Doppelte des höchsten überhaupt noch erzielbaren Habenzinssatzes ausmachte. Die maßstabsbildend zu berücksichtigenden Kreditzinssätze folgten ebenfalls dem zuvor aufgezeigten Abwärtstrend. Der typisierte Zinssatz von jährlich 6 % erweist sich daher unter den nach Ausbruch der Finanzkrise veränderten tatsächlichen Bedingungen spätestens seit dem Jahr 2014 als evident realitätsfern. Er ist in dem sich verfestigenden Niedrigzinsniveau offensichtlich nicht mehr in der Lage, den durch eine späte Heranziehung zur Steuer entstehenden potentiellen Vorteil hinreichend abzubilden. Mit ihrer Anknüpfung an einem jährlichen Zinssatz von 6 % entfaltet die Vollverzinsung damit spätestens für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume im Regelfall eine überschießende Wirkung und ist insofern verfassungswidrig geworden.
5. Für bis in das Jahr 2013 fallende Verzinsungszeiträume ist der gesetzliche Zinssatz zwar zunehmend weniger in der Lage, den Erhebungszweck der Nachzahlungszinsen abzubilden. Die Vollverzinsung entfaltet insoweit jedoch noch keine evident überschießende Wirkung. Sie ist auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne. Ein verfassungsrechtlich auffälliges Missverhältnis besteht insoweit noch nicht. Auch das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Übermaßverbot ist insofern nicht verletzt. Die Vorteile des typisiert bestimmten starren Zinssatzes in der Verwaltungspraxis stehen noch in einem rechten Verhältnis zu der damit verbundenen Ungleichbehandlung der zinszahlungspflichtigen Steuerschuldner. Das Niedrigzinsniveau hatte sich bis 2013 noch nicht derart verfestigt, dass der gesetzlich bestimmte Zinssatz als im Regelfall evident realitätsfern erscheint.
II. Die Verfassungsbeschwerde zu I. im Verfahren 1 BvR 2237/14 ist – soweit sie zulässig ist – unbegründet, denn sie betrifft eine Zinsfestsetzung für den Zeitraum von 2010 bis 2012.
III. Die Verfassungsbeschwerde zu II. im Verfahren 1 BvR 2422/17 ist teilweise begründet. Soweit sie den Verzinsungszeitraum vom 1. Januar 2014 bis 14. Juli 2014 betrifft, verletzt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verletzt sie in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
IV. Im Ergebnis wird § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für umfassend und für alle Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Aufgrund des einheitlichen Regelungskonzepts des Gesetzgebers beschränkt sich die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO nicht nur auf Nachzahlungszinsen zulasten der Steuerpflichtigen, sondern umfasst ebenso die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen. Für Verzinsungszeiträume vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2018 gilt die Vorschrift jedoch fort, ohne dass der Gesetzgeber verpflichtet wäre, auch für diesen Zeitraum rückwirkend eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen. Für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume bleibt es hingegen bei der Unanwendbarkeit der Vorschrift. Insoweit ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine Neuregelung bis zum 31. Juli 2022 zu treffen, die sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 erstreckt und alle noch nicht bestandskräftigen Hoheitsakte erfasst.
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https://lmat.de/wp-content/uploads/2017/03/LMAT-logo-with-claim-236.png00Sekretariathttps://lmat.de/wp-content/uploads/2017/03/LMAT-logo-with-claim-236.pngSekretariat2021-08-18 14:11:142021-08-19 10:07:46Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit jährlich 6 % ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig
Fondsstandortgesetz
/in Aktuelles, Allgemein /von SekretariatNeuregelung der erweiterten Gewerbesteuerkürzung bei Grundstücksunternehmen und Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen – Ende gut, alles gut?
Werden in Deutschland belegene vermietete Immobilien in einer Objektgesellschaft, in der Regel einer GmbH, oder einer gewerblich geprägten Personengesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland gehalten, unterliegen die Vermietungsgewinne dieser Gesellschaften grundsätzlich in vollem Umfang der Gewerbesteuer. Eine Ausnahme ist die sog. erweiterte gewerbesteuerliche Kürzung, wenn diese Unternehmen – ausschließlich – eigenen Grundbesitz oder daneben auch eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen. Ein großes Problem ist dabei – neben weiteren Fallstricken – das Ausschließlichkeitserfordernis, welches im Ergebnis dazu führt, dass selbst geringfügige Nebentätigkeiten zum Entfall der faktischen Gewerbesteuerbefreiung führen. Klassische Beispiele für derartige steuerschädliche Nebentätigkeiten sind z.B. der Betrieb von Photovoltaikanlagen zur Stromeinspeisung ins öffentliche Netz oder die Mitvermietung von sog. Betriebsvorrichtungen wie Lastenaufzügen, Klimaanlagen in Serverräumen, ebenso wie Kühlräume oder Küchenanlagen und Fettabscheider in Gastronomie und Kantinen aber wohl auch sog. Teeküchen in Bürogebäuden.
Hierzu hat der Bundesfinanzhof zuletzt mit 3 wegweisenden Urteilen vom 11.04.2019 entschieden, dass:
die Anwendung der erweiterten Kürzung wegen Verstoß gegen das Ausschließlichkeitserfordernis zu versagen ist.
Mit weiterem Urteil vom 18.12.2019 (III R 36/17) hat der BFH im Fall der Vermietung eines Warenhauses und einer Tankstelle die zur letzteren gehörende Tankstellentechnik (Fahrbahn, Zapfsäule, Rohrleitungen und Tanks) ebenfalls als schädliche Betriebsvorrichtungen qualifiziert.
Neu an allen vorgenannten Entscheidungen war die Präzisierung des Ausschließlichkeitserfordernisses. Entgegen bisheriger Rechtsprechung einzelner Finanzgerichte kommt bei Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen die erweiterte gewerbesteuerliche Kürzung – unabhängig vom Umfang der mitüberlassenen Betriebsvorrichtungen – nicht in Frage. Eine Bagatellgrenze sieht das Gesetz lt. BFH ausdrücklich nicht vor. Diese sehr restriktive Rechtsprechung war somit in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Auf die Fortbestehende Problematik hatten wir in unserem Beitrag im FYB 2021 hingewiesen insbesondere darauf, dass sich die Praxis schon lange damit behilft, inländische Immobilien über im Ausland ansässige Immobilienobjektgesellschaften zu halten und auch die Geschäftsführungsaufgaben am ausländischen Sitz der Gesellschaft auszuüben, wodurch im Ergebnis die inländische Betriebsstätte als Anknüpfungspunkt für die Gewerbesteuer fehlt.
Mit dem aktuellen Fondsstandortgesetz haben sich insoweit wesentliche und für Immobilieneigentümer vorteilhafte Regelungen ergeben.
Betrieben Grundstücksunternehmen bisher auch die Erzeugung von Strom aus Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien im Sinne des § 3 Nr. 21 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes oder aus dem Betrieb von Ladestationen für Elektrofahrzeuge, so verloren sie insgesamt die Möglichkeit, die erweiterte Kürzung in Anspruch zu nehmen.
Aktuell wurde die Regelung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG in einem neuen Satz 3 um eine Ausnahmeregelung für die Lieferung von Strom und das Betreiben von Ladestationen erweitert. Voraussetzung ist, dass die diesbezüglichen Einnahmen im Wirtschaftsjahr nachweislich nicht mehr als 10 % der Einnahmen aus der Gebrauchsüberlassung des Grundbesitzes betragen. Zudem darf der Strom nur in das Netz eingespeist oder an die Mieter des Grundstücksunternehmens geliefert werden, nicht aber an Endverbraucher, die nicht Mieter des Anlagenbetreibers sind (z.B. an den Eigentümer oder die Mieter eines benachbarten Wohn- oder Bürogebäudes). Das Betreiben von Ladestationen für die Öffentlichkeit bleibt hingegen eine begünstigungsschädliche Tätigkeit ebenso wie der Betrieb eines Blockheizkraftwerkes (infolge der ausdrücklichen Bezugnahme auf § 3 Nr. 21 EEG).
Quasi in letzter Minute hat dann noch eine weitere Begünstigung mit erheblicher praktischer Bedeutung Eingang in das Gesetz gefunden. Nach dem neuen § 9 Nr. 1 Satz 3, Buchstabe c) GewStG bleibt die erweiterte Kürzung für Grundbesitz künftig auch erhalten, wenn die Einnahmen in dem Wirtschaftsjahr aus übrigen Tätigkeiten nicht höher als 5 % der Einnahmen aus der Gebrauchsüberlassung des Grundbesitzes sind und aus unmittelbaren Vertragsverhältnissen mit den Mietern des Grundstückes stammen.
Im Klartext bedeutet das, dass die Mitvermietung von bisher schädlichen Betriebsvorrichtungen wie Lastenaufzügen, Abluftanlagen- und Fettabscheidern sowie Kücheneinrichtungen in der Gastronomie aber auch von Kühlräumen in Supermärkten aber auch Teeküchen in Büros oder Klimaanlagen in Serverräumen nunmehr grundsätzlich problemlos möglich ist, soweit die „Schmutzgrenze“ von 5 % der Einnahmen eingehalten wird.
Diese Regelung ist höchst begrüßenswert, beendet sie doch den langjährig vor den Gerichten ausgetragenen Streit um das Ausschließlichkeitserfordernis der Vermietung.
Es gilt jedoch zu beachten, dass auch trotz der Unschädlichkeit der betreffenden Einkünfte insoweit keine Steuerbefreiung eintritt. Die Befreiung bezieht sich weiterhin nur auf die unmittelbaren Vermietungseinkünfte; die Einkünfte aus Nebentätigkeiten sind separat zu ermitteln und unterliegen der Gewerbesteuer. In der Regel wird der auf die Vermietung der Betriebsvorrichtungen entfallende Gewinn und damit die Gewerbesteuer wohl meist überschaubar sein.
Im Übrigen wird mit der Neuregelung auch Gleichklang mit § 15 Abs. 3 InvStG hergestellt, der für Immobilien haltende Investmentfonds seit dem InvStG 2018 eine Gewerbesteuerbefreiung vorsieht, wenn der Anteil der erzielten Einnahmen aus aktiver unternehmerischer Immobilienbewirtschaftung in einem Geschäftsjahr weniger als 5 % (Bagatellgrenze) der gesamten Einnahmen des Investmentfonds beträgt (Einzelheiten dazu im BMF Schreiben vom 21. Mai 2019 zu Anwendungsfragen zum Investmentsteuergesetz in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung). Auch die bisher insoweit geltende Ungleichbehandlung bzw. gewerbesteuerliche Bevorzugung von Investmentfonds wurde nunmehr beseitigt und rechtsformunabhängig Gleichklang hergestellt.
Der Gesetzentwurf wurde am 28. Mai vom Bundesrat beschlossen; die Neuregelung zur erweiterten Kürzung gilt ab dem Veranlagungszeitraum 2021.
Praxistipp:
So sehr die Neuregelung zu begrüßen ist, fehlt derzeit noch eine Regelung, wie die Schmutzgrenzen von 10 % bzw. 5 % der „Einnahmen aus der Gebrauchsüberlassung“ zu ermitteln sind, hier insbesondere ob es sich um die Kaltmiete handelt oder ob Umlagen für Betriebskosten einzubeziehen sind. Zudem ist unklar, ob auch Erlöse aus der Veräußerung von Betriebsvorrichtungen noch unter die Neuregelung fallen, was beim Abstellen auf die Einnahmen aus der reinen Gebrauchsüberlassung bezweifelt werden darf. Fraglich Zuguterletzt auch, wie aus einer vereinbarten Miete für eine Teilfläche oder ein Gesamtgebäude derjenige Mietanteil bestimmt werden soll, der auf die Vermietung der in der Miete enthaltenen Betriebsvorrichtungen entfällt, zumal diese gerade bei Bestandsgebäuden oft nicht separat im Anlagenvermögen erfasst sind und Daten zu historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten oft nicht vorliegen; somit ist auch hier die „Bewertungsdiskussion“ mit dem Finanzamt vorprogrammiert – wie so oft im Steuerrecht steckt die Tücke wieder im Detail.
In der praktischen Anwendung ist somit weiterhin sicherzustellen, dass:
– der maßgebliche Prozentsatz – auch bei teilweisem Gebäudeleerstand – nicht überschritten wird
– relevante Einkünfte der Gewerbesteuer unterworfen werden
– Betriebsvorrichtungen somit weiterhin insbesondere beim Ankauf eindeutig identifiziert und im Kaufvertrag ggf. entsprechende anteilige Kaufpreise für diese ausgewiesen werden
– Betriebsvorrichtungen weiterhin auf separate Gesellschaften ausgegliedert werden, wenn die maßgeblichen Schmutzgrenzen überschritten sind oder diese – separat oder zusammen mit der Immobilie – veräußert werden sollen.
Die weitere Entwicklung in diesem Bereich bleibt also abzuwarten, insbesondere bei Transaktionen sollte weiterhin mit Augenmaß und im Zweifel mit Vorsicht agiert werden. Bisherige Gestaltungsmodelle werden voraussichtlich ihre Gültigkeit nicht zur Gänze verlieren.
Autor: StB Thomas Jäger
LM REAL ESTATE – Neue Broschüre zum Download!
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Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit jährlich 6 % ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig
/in Aktuelles /von SekretariatPressemitteilung Nr. 77/2021 vom 18. August 2021
– Vollverzinsung –
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen in § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (im Folgenden: AO) verfassungswidrig ist, soweit der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird.
Die Verzinsung von Steuernachforderungen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten stellt eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wird, dar. Diese Ungleichbehandlung erweist sich gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume noch als verfassungsgemäß, für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume dagegen als verfassungswidrig. Ein geringere Ungleichheit bewirkendes und mindestens gleich geeignetes Mittel zur Förderung des Gesetzeszwecks bestünde insoweit in einer Vollverzinsung mit einem niedrigeren Zinssatz. Die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO mit dem Grundgesetz umfasst ebenso die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen. Das bisherige Recht ist für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume weiter anwendbar. Für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume sind die Vorschriften dagegen unanwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.
Sachverhalt:
§ 233a AO regelt die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen. Die Verzinsung betrifft den Zeitraum zwischen der Entstehung der Steuer und ihrer Festsetzung (Grundsatz der Vollverzinsung). Der Zinslauf beginnt allerdings nicht bereits mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, sondern erst nach einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten. Von der Vollverzinsung betroffen sind damit lediglich diejenigen Steuerpflichtigen, deren Steuer erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums nach der Entstehung des Steueranspruchs erstmalig festgesetzt oder geändert wird. Praktisch bedeutsam sind insoweit insbesondere (geänderte) Steuerfestsetzungen nach einer Außenprüfung. Die Zinsen betragen nach § 238 Abs. 1 AO für jeden vollen Monat des Zinslaufs 0,5 %, mithin 6 % jährlich. Von der Verzinsung erfasst werden nur die in § 233a Abs. 1 Satz 1 AO abschließend aufgezählten Steuerarten der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermögensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer. Die Vollverzinsung wirkt sowohl zugunsten (im Fall der Steuererstattung) als auch zuungunsten (im Fall der Steuernachforderung) der Steuerpflichtigen. Die Gründe für eine späte Steuerfestsetzung und insbesondere, ob die Steuerpflichtigen oder die Behörde hieran ein Verschulden trifft, sind für die Verzinsung unerheblich.
Die Verfassungsbeschwerden haben die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO auf Gewerbesteuer nach einer Außenprüfung zum Gegenstand. Die Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen die die Verzinsung bestätigenden fachgerichtlichen Urteile. Mittelbar wenden sie sich gegen § 233a AO, soweit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO bei der Zinsberechnung Anwendung findet. Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung ist ein Verzinsungszeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 14. Juli 2014.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
I. Die Verzinsung von Steuernachforderungen nach § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO war ursprünglich verfassungsgemäß. Die Regelung ist jedoch nicht mehr mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit der Zinsberechnung für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume ein Zinssatz von monatlich 0,5 % zugrunde gelegt wird.
1. Nach geltendem Recht werden Steuerpflichtige, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerpflichtigen, deren Steuer innerhalb der Karenzzeit festgesetzt wird, ungleich behandelt. Nur erstere sind zinszahlungspflichtig.
2. Die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung bemisst sich nach strengeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen.
a) Der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Diese bedarf jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für Einzelne verfügbar sind. Dieser allgemeine gleichheitsrechtliche Maßstab findet auch bei der Auswahl des Zinsgegenstands (Vollverzinsung nach § 233a AO) und der Bestimmung des Zinssatzes (§ 238 AO) Anwendung.
b) Nach diesen Grundsätzen sind hier strengere Verhältnismäßigkeitsanforderungen zu stellen. Zwar berührt die Vollverzinsung zulasten der Steuerpflichtigen nach den §§ 233a, 238 AO im Wesentlichen nur die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. Die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG ist hingegen von vornherein nicht betroffen, weil die Auferlegung einer Zinszahlungspflicht die Vermögensverhältnisse der Betroffenen nicht so grundlegend beeinträchtigt, dass sie eine erdrosselnde Wirkung entfaltet. Der Zeitpunkt der Steuerfestsetzung und damit das Überschreiten der Karenzzeit sind für die einzelnen Steuerpflichtigen allerdings weitestgehend nicht verfügbar. Es liegt letztlich in der Sphäre der Finanzverwaltung beziehungsweise – im Fall der Gewerbesteuer – in der Regel zusätzlich in der Sphäre der Gemeinden, wann die Steuer festgesetzt wird.
3. § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO genügte anfänglich den hier anzuwendenden strengeren Rechtfertigungsanforderungen und war verfassungsgemäß.
a) Das Ziel der Vollverzinsung, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden, ist legitim. Der Verzinsung der Steuernachforderungen liegt die Annahme zugrunde, dass Steuerschuldner, deren Steuer erst spät festgesetzt wird, einen fiktiven Zinsvorteil haben. Zweck der Vollverzinsung ist die Abschöpfung dieses Zinsvorteils. Die Vollverzinsung als solche ist auch geeignet, die Erreichung dieses Ziels zu fördern. Dies gilt grundsätzlich auch unter Berücksichtigung der Höhe des Zinssatzes, da jedenfalls bis in das Jahr 2014 noch regelmäßig Habenzinsen erzielt werden konnten.
b) Die Vollverzinsung ist als solche auch erforderlich. Weder die Abschöpfung des tatsächlich erzielten Liquiditätsvorteils der Steuerpflichtigen noch eine Ausgestaltung der Vollverzinsung dahingehend, dass Nachzahlungszinsen nur bei einer von den Steuerpflichtigen selbst verursachten späten Steuerfestsetzung erhoben werden, sind zur Erreichung des Differenzierungszwecks in gleicher Weise geeignet. Auch soweit die Vollverzinsung an einen starren Zinssatz anknüpft, begegnet ihre Erforderlichkeit keinen Bedenken. Ein variabler Zinssatz bewirkt nicht per se eine geringere Ungleichheit als ein starrer Zinssatz.
4. Die Vollverzinsung mit einem Zinssatz von 0,5 % pro Monat erweist sich allerdings für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume als nicht mehr erforderlich und verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Der Gesetzgeber ist dem Grunde nach berechtigt, den durch eine späte Steuerfestsetzung erzielten Zinsvorteil der Steuerpflichtigen zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung typisierend zu bestimmen. Allerdings darf er keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss bei seiner Maßstabsbildung realitätsgerecht den typischen Fall zugrunde legen. Da der Gesetzgeber die Höhe des gewählten Zinses zu keiner Zeit ausdrücklich begründet hat, ist eine Gesamtschau der erkennbaren Motive und Erwägungen erforderlich, um die zumindest vermutlich leitenden Kriterien bei der Bemessung des Zinssatzes zu bestimmen. Dem Vorteilsausgleich durch eine Vollverzinsung im Nachzahlungsfall liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass es sich bei dem abzuschöpfenden Vorteil um einen potentiell entstehenden Zinsvorteil handelt. Zur Bestimmung dieses Zinsvorteils mit monatlich 0,5 % knüpfte der Gesetzgeber im Jahr 1990 an den bereits für die bisherigen Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung geltenden § 238 AO an. Dies begründete er allein mit der Praktikabilität des vorgefundenen festen Zinssatzes. Erkennbar sind aber auch Bezüge zum damaligen Diskontsatz, der durch den heutigen Basiszinssatz abgelöst wurde. Im Blick hatte der Gesetzgeber offenbar weiterhin den Marktzins und einen Gleichlauf der Höhe von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen. Diese vom Gesetzgeber bei der Bemessung des Zinssatzes als maßstabsbildend zugrunde gelegten Kriterien sind in ihrer Gesamtheit sachgerecht, um den potentiell entstehenden Vorteil einer späten Steuerfestsetzung abzubilden.
b) Die Vollverzinsung zulasten der Steuerpflichtigen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % war danach zunächst verfassungsgemäß. Die Annahme des Gesetzgebers, dass dieser Zinssatz den durch eine späte Steuerfestsetzung potentiell entstehenden Vorteil abbildet, traf im Jahr der Verabschiedung des Steuerreformgesetzes 1990 zu, mit dem die Vollverzinsung in die Abgabenordnung eingeführt wurde. Der Zinssatz entsprach mit jährlichen Zinsen von 6 % in etwa den insoweit maßstabsrelevanten Verhältnissen am Geld- und Kapitalmarkt.
c) Die Verzinsung mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % ist trotz der grundsätzlichen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers aber dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn sich der typisiert festgelegte Zinssatz im Laufe der Zeit unter veränderten tatsächlichen Bedingungen als evident realitätsfern erweist. Dies ist spätestens seit dem Jahr 2014 der Fall.
Nach Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 hat sich ein strukturelles Niedrigzinsniveau entwickelt, das nicht mehr Ausdruck üblicher Zinsschwankungen ist. Dies zeigt sich zunächst in der Entwicklung des Basiszinssatzes. Während er im Jahr 2008 noch bei über 3 % lag, sank er im Laufe des Jahres 2009 rapide auf 0,12 %. Seit Januar 2013 liegt er im negativen Bereich. Vor dem Hintergrund, dass sich der Diskontsatz in den fünfzig Jahren seines Bestehens zwischen 2,5 % und 8,75 % und der Basiszinssatz sich vor 2009 zwischen 1,13 % und 3,32 % bewegt hat, zeigt diese Entwicklung ein Niedrigzinsniveau auf, das nicht mehr Ausdruck üblicher Zinsschwankungen, sondern spätestens seit dem Jahr 2014 struktureller und nachhaltiger Natur ist. Einen entsprechenden Trend zeigt die Entwicklung der Zinsen am Kapitalmarkt auf. Im Jahr 2014 hatte sich der jährlich 6 %-ige Zinssatz bereits so weit vom tatsächlichen Marktzinsniveau entfernt, dass er schon in etwa das Doppelte des höchsten überhaupt noch erzielbaren Habenzinssatzes ausmachte. Die maßstabsbildend zu berücksichtigenden Kreditzinssätze folgten ebenfalls dem zuvor aufgezeigten Abwärtstrend. Der typisierte Zinssatz von jährlich 6 % erweist sich daher unter den nach Ausbruch der Finanzkrise veränderten tatsächlichen Bedingungen spätestens seit dem Jahr 2014 als evident realitätsfern. Er ist in dem sich verfestigenden Niedrigzinsniveau offensichtlich nicht mehr in der Lage, den durch eine späte Heranziehung zur Steuer entstehenden potentiellen Vorteil hinreichend abzubilden. Mit ihrer Anknüpfung an einem jährlichen Zinssatz von 6 % entfaltet die Vollverzinsung damit spätestens für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume im Regelfall eine überschießende Wirkung und ist insofern verfassungswidrig geworden.
5. Für bis in das Jahr 2013 fallende Verzinsungszeiträume ist der gesetzliche Zinssatz zwar zunehmend weniger in der Lage, den Erhebungszweck der Nachzahlungszinsen abzubilden. Die Vollverzinsung entfaltet insoweit jedoch noch keine evident überschießende Wirkung. Sie ist auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne. Ein verfassungsrechtlich auffälliges Missverhältnis besteht insoweit noch nicht. Auch das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Übermaßverbot ist insofern nicht verletzt. Die Vorteile des typisiert bestimmten starren Zinssatzes in der Verwaltungspraxis stehen noch in einem rechten Verhältnis zu der damit verbundenen Ungleichbehandlung der zinszahlungspflichtigen Steuerschuldner. Das Niedrigzinsniveau hatte sich bis 2013 noch nicht derart verfestigt, dass der gesetzlich bestimmte Zinssatz als im Regelfall evident realitätsfern erscheint.
II. Die Verfassungsbeschwerde zu I. im Verfahren 1 BvR 2237/14 ist – soweit sie zulässig ist – unbegründet, denn sie betrifft eine Zinsfestsetzung für den Zeitraum von 2010 bis 2012.
III. Die Verfassungsbeschwerde zu II. im Verfahren 1 BvR 2422/17 ist teilweise begründet. Soweit sie den Verzinsungszeitraum vom 1. Januar 2014 bis 14. Juli 2014 betrifft, verletzt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verletzt sie in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
IV. Im Ergebnis wird § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO für umfassend und für alle Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Aufgrund des einheitlichen Regelungskonzepts des Gesetzgebers beschränkt sich die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO nicht nur auf Nachzahlungszinsen zulasten der Steuerpflichtigen, sondern umfasst ebenso die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen. Für Verzinsungszeiträume vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2018 gilt die Vorschrift jedoch fort, ohne dass der Gesetzgeber verpflichtet wäre, auch für diesen Zeitraum rückwirkend eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen. Für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume bleibt es hingegen bei der Unanwendbarkeit der Vorschrift. Insoweit ist der Gesetzgeber verpflichtet, eine Neuregelung bis zum 31. Juli 2022 zu treffen, die sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 erstreckt und alle noch nicht bestandskräftigen Hoheitsakte erfasst.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:
Download Urteil BVG vom 08. Juli 2021