Die neue EU-Erbrechtsverordnung – Ziel & Nutzen?
In der heutigen globalisierten Welt wächst die Zahl der grenzüberschreitenden Erbfälle laufend. Derzeit schätzt die EU-Kommission die Zahl der Erbfälle mit Auslandsberührung innerhalb der EU auf etwa 450.000 jährlich, mit einem Nachlassvolumen von mehr als 120 Mrd. Euro. Das Europäische Parlament folgte dem Zug der Zeit und verabschiedete die EU-Erbrechtsverordnung („EU-ErbVO“) mit dem Ziel, die Abwicklung grenzüberschreitender Nachlässe zu vereinfachen. Seit 16.08.2012 ist die Verordnung in Kraft. Verbindlich wird sie in den teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten – nicht: Dänemark, Vereinigtes Königreich und Irland – allerdings erst für Todesfälle ab dem 17.08.2015. Die Übergangszeit kann von Personen mit internationalen Vermögensverhältnissen bereits genutzt werden, geeignete Vorkehrungsmaßnahmen zu treffen, etwa in ihrem Testament das Recht des Heimatstaates zu wählen.
Die Verordnung hat das internationale Erbrecht (Kollisionsrecht), die internationale Zuständigkeit in Erbsachen sowie die Anerkennung und Vollstreckung erbrechtlicher Entscheidungen zum Gegenstand. Zugleich schafft sie die Rechtsgrundlage für das neue europäische Nachlasszeugnis (ENZ). Rechtsgeschäfte unter Lebenden (vorweggenommene Erbfolge) sind ausgenommen. Die Verordnung berührt auch nicht die nationalen Regelungen des Erb- und Güterrechts, des Sachenrechts sowie das Erbschaftssteuerrecht.
Aus deutscher Sicht bedeutet die EU-ErbVO eine Abkehr vom Staatsangehörigkeitsprinzip: Die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt künftig nicht mehr automatisch dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Versterbens angehörte („Heimatrecht“).
Bislang können die Rechtssysteme der berührten Staaten kollidieren, wie folgendes Beispiel zeigt:
Der französische Staatsbürger F wohnte bis zu seinem Tod in einer Eigentumswohnung in München. Er hinterlässt neben der Immobilie weiteres Vermögen. Nach deutschem Erbrecht unterliegt die Rechtsnachfolge insgesamt französischem Erbrecht. Das französische internationale Erbrecht unterwirft jedoch die in Deutschland belegene Immobilie dem deutschen Recht. Somit ist der Nachlass gespalten nach deutschem und französischem Recht zu behandeln.
In Zukunft wird EU-einheitlich angeknüpft an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt, es sei denn, der Erblasser trifft eine abweichende Rechtswahl. Der EU-ErbVO liegt folgendes Konzept zugrunde:
Die gerichtliche Zuständigkeit („forum“) richtet sich nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers in einem EU-Staat. Hielt sich der Erblasser zuletzt in einem Drittstaat außerhalb der teilnehmenden EU-Staaten gewöhnlich auf, richtet sich das forum nach dem Staat in der EU, in dem das Vermögen belegen ist („subsidiäre internationale Zuständigkeit“), wenn der Erblasser im Todeszeitpunkt die Staatsangehörigkeit dieses Staates besaß oder innerhalb von 5 Jahren vor seinem Tod seinen vorletzten gewöhnlichen Aufenthalt in diesem EU-Staat hatte. Die EU-ErbVO kann also in besonders gelagerten Fällen – etwa bei Grundbesitz in Deutschland – auch ausstrahlen gegenüber Staatsangehörigen oder Ansässigen in Drittstaaten.
Das anwendbare Recht („ius“), also das Erbstatut, folgt ebenfalls primär dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers. Zum anwendbaren Recht zählen etwa Rechtsfragen wie die Bestimmung der Nachlassberechtigten, Vermächtnisse, Haftung für Nachlassverbind-lichkeiten, Pflichtteilsrecht und Nachlassteilung. Ist der Erblasser vor seinem Tod in einem teilnehmenden EU-Staat ansässig und traf keine abweichende Rechtswahl, stimmen „forum“ und „jus“ ohne weiteres überein. Bei letzter Ansässigkeit in einem Drittstaat können jedoch Gerichtsstand und anwendbares Recht auseinanderfallen. War der Erblasser zuletzt im EU-Ausland ansässig (Stichwort „deutscher Mallorca-Rentner“), entspricht das anwendbare Erbrecht nicht dem vertrauten Heimatrecht. Für die Erben eines im Ausland verstorbenen deutschen Staatsangehörigen kann dies überraschende Rechtsfolgen und gesteigerten Verwaltungsaufwand bedeuten.
Zuständigkeit und anwendbares Rech können voneinander abweichen, wenn etwa der letzte gewöhnliche Aufenthaltsort, die Staatsangehörigkeit und der Belegenheitsort des Vermögen des Erblassers auseinanderfallen. Ein spanisches Gericht könnte im Falle des Mallorca-Rentners also beispielsweise gezwungen sein, fremdes deutsches oder möglicherweise sogar Drittstaaten-Recht anzuwenden. Dies kann – wie im derzeitigen Recht – Quelle aufwändiger Auseinandersetzungen sein.
Zur Vermeidung derartiger Konflikte kann es sich empfehlen, im Testament oder Erbvertrag eine aktive Rechtswahl zu treffen oder vorab zu Lebzeiten Vermögen umzuschichten. Betroffene Personen – Inländer mit Auslandswohnsitz, Ausländer mit Inlandswohnsitz – können bereits jetzt mit Wirkung über den 17.08.2015 hinaus eine Rechtswahl zugunsten des Heimatrechts treffen (Art. 22 EU-ErbVO); insoweit wird auf die Staatsangehörigkeit zurückgegriffen: als Heimatrecht gilt das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser entweder im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt des Erbfalls besitzt.
Eine gegenständlich beschränkte „Teilrechtswahl“ hinsichtlich einzelner Nachlassgegenstände ist allerdings nicht möglich, so kann etwa ein ausländischer Erblasser nicht mehr, wie bisher, für in Deutschland belegenen Grundbesitz „gespalten“ deutsches Erbrecht wählen. Die EU-ErbVO manifestiert vielmehr nun das Prinzip der Nachlasseinheit. Im Gleichlauf zur Rechtswahl sind dann auch die Gerichte des jeweiligen Mitgliedsstaats international zuständig, die Verordnung regelt hierfür Mechanismen zur formellen Anerkennung.
Ob Testamente und andere Verfügungen von Todes wegen zulässig und materiell wirksam sind, richtet sich nach dem Recht, das im Zeitpunkt der Testamentserrichtung EU-rechtlich anwendbar ist, oder nach der eventuell abweichenden Rechtswahl. Wegzügler sollten beachten: Rechtzeitige Aufklärung und Maßnahmen sind angezeigt, um Komplikationen zulasten der Erben zu vermeiden.
Erblasser, die ohne Testament der gesetzlichen Erbfolge freien Lauf lassen wollen, beispielsweise Ehegatten mit nur einem Kind, sollten bei Wohnsitzwechsel über die Grenze beachten: Die gesetzliche Ehegattenerbquote im Güterstand des Zugewinnausgleichs nach deutschem Recht (1/2 des Nachlasses neben weiteren Abkömmlingen) enthält ein Element des ehelichen Güterrechts (fiktiver Zugewinnausgleich). Dieses Recht gilt jedenfalls für Erblasser mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Bei Rechtswahl zugunsten des deutschen Heimatrechts ist zu beachten, dass deutsches und ausländisches Ehegüterrecht meist nicht übereinstimmen; in solchen Fällen müssten kollisionsrechtliche Details geprüft werden. Die EU-ErbVO löst diese Konflikte nicht.
Mit dem Europäischen Nachlasszeugnis (ENZ) soll es ein unionsweit harmonisiertes Dokument geben, das Auskunft gibt über Erben, Erbquoten und anzuwendendes Recht, zusätzlich auch über Vermächtnisnehmer und einzelne Nachlassgegenstände. Es hat Legitimationswirkung und vermittelt Gutglaubensschutz. Das ENZ ist ohne weitere Formanforderungen in allen Mitgliedsstaaten anzuerkennen und reicht in seiner Wirkung damit weiter als der deutsche Erbschein, der alternativ auch künftig beantragt werden kann bzw. muss. Denn das ENZ entfaltet keine dingliche Wirkung, etwa bei Grundstücken oder Gesellschaftsanteilen, die Rechtsnachfolge muss also weiterhin nach nationalem Recht vollzogen werden (z.B. Auflassung, Grundbucheintrag).
Ausblick:
Anwendungsprobleme und rechtliche Konflikte in der Praxis, insbesondere im Verhältnis zu Drittstaaten, werden nach vollständiger Geltung der EU-ErbVO zwar sicherlich nicht ausbleiben, dennoch ist dieser europarechtliche Vorstoß zur Vereinfachung und Harmonisierung grenzüberschreitender Erbfälle zu begrüßen. Die Verordnung ist jedenfalls ein Schritt gegen die Rechtskollisionen und bürokratischen Hindernisse, die in den EU-Staaten bei grenzüberschreitenden Erbfällen bislang leidige Praxis sind. Personen, für die eine Nachfolgeplanung im internationalen Kontext ansteht, sollten sich beizeiten über die in Betracht kommenden Erbrechtssysteme, Formerfordernisse und Zuständigkeiten der berührten Staaten informieren. Insbesondere die „EU-Tauglichkeit“ bestehender Verfügungen über den 16.08.2015 hinaus und die Rechtswahl zwischen Ansässigkeitsstaat und Heimatstaat bedarf sorgfältiger Prüfung. In der juristischen Fachwelt bestehen bereits Ansätze, die Prinzipien der EU-ErbVO gezielt als Strategie zur Pflichtteilsvermeidung zu nutzen, wenn ein Kind oder Ehegatte „enterbt“ werden soll. Eignen könnte sich beispielsweise der Wegzug nach Großbritannien, das kein Pflichtteils- oder Mindesterbrecht kennt. Die Umsetzung solcher Überlegungen in der Praxis bleibt abzuwarten.
Für Fragen zu diesem Artikel steht Ihnen die Autorin gerne zur Verfügung.
Frau Petra Kanz, Rechtsanwältin, Steuerberaterin
Schlagworte: Rechtsform, Unternehmensnachfolge
Von Petra Kanz, Rechtsanwältin, Steuerberaterin, veröffentlicht am 03.02.2014